Die Vorzeichen, unter denen Familien geboren werden, könnten unterschiedlicher kaum sein. Viele Kinder wurden von ihren Eltern lange ersehnt, einige kommen ungeplant, andere „stören“ deren ursprüngliche Pläne eher, führen vielleicht sogar zum Bruch zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater. Die meisten kommen gesund zur Welt. Manche haben einen schweren Start durch eine Frühgeburt, Krankheit oder Behinderung. Die Eltern der einen verfügen über ein sicheres Ein- und Auskommen und werden von den Großeltern und vom Freundeskreis tatkräftig unterstützt. Bei anderen mangelt es an allen Ecken und Enden. Und auch das Temperament der Kinder unterscheidet sich vom ersten Tag an. Die einen sind unkompliziert und „pflegeleicht“, die anderen lassen sich nur schwer beruhigen, geraten schnell aus der Ruhe und schreien viel.
Je nach dem erleben junge Eltern in den ersten Wochen einen leichteren oder schwereren Start ins Familienleben. Auf jeden Fall bedeutet die Geburt einer Familie für alle Beteiligten eine enorme Umstellung. Für das Kind wie für seine Eltern heißt es, erst einmal „anzukommen“ miteinander, sich Zeit zu nehmen und Zeit zu lassen, einander kennen zu lernen. „Wer sind meine Eltern? Wer ist mein Kind? Und was braucht es jetzt von mir?“
In der ersten Zeit ist das Baby ganz auf die Hilfe seiner Umgebung angewiesen. Es muss verlässlich versorgt und gepflegt werden, braucht Menschen, die es Nähe und Geborgenheit erfahren lassen, freundlich mit ihm sprechen. Gesichter, die ihm stets vertrauter werden. Mütter, Väter und andere Vertraute, die sich liebevoll auf diese Aufgabe einlassen, stellen bald fest: Das Baby verfügt über ein erstaunliches Repertoire an unterschiedlichen Signalen, die seinen Eltern helfen, die Bedürfnisse des Kleinen zu erkennen.
Ich suche nicht – ich finde.
Suchen – das ist Ausgehen von alten Beständen.
Und ein Finden-Wollen von bereits Bekanntem in Neuem.
Finden – das ist das völlig Neue!
Das Neue auch in der Bewegung.
Alle Wege sind offen, und was gefunden wird, ist unbekannt.
Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer!
Die Ungewissheit solcher Wagnisse können eigentlich nur jene auf sich nehmen,
die sich im Ungeborgenen geborgen wissen,
die in die Ungewissheit, in die Führerlosigkeit geführt werden,
die sich im Dunkeln einem unsichtbaren Stern überlassen,
die sich vom Ziele ziehen lassen und nicht – menschlich beschränkt und eingeengt – das Ziel bestimmen.
Dieses Offensein für jede neue Erkenntnis
im Außen und Innen:
Das ist das Wesenhafte des modernen Menschen,
der in aller Angst des Loslassens doch die Gnade des Gehaltenseins
im Offenwerden neuer Möglichkeiten erfährt.
Pablo Picasso
Denn da ist nicht nur das Schreien, das sich je nach Ursache – Hunger? Langeweile? Schmerz? – zwischen leisem Meckern, Quengeln und lautem Gebrüll unterscheidet. Da sind auch die Augen, die ihr Gegenüber offen und neugierig fixieren, die das Kleine aber abwendet, wenn es überfordert und müde ist. Sein Lächeln verzieht es manchmal zur angewiderten Grimasse und ballt die Finger bei Anspannung zum Fäustchen. (Mehr darüber folgt im nächsten Elternbrief.) Diese und andere Zeichen des kleinen Neugeborenen lernen aufmerksame Eltern immer besser zu „lesen“ und können ihm dann umso genauer geben, was es braucht: Nahrung, eine frische Windel, Wärme, Nähe, Beruhigung oder Anregung, je nach dem.
Diese Feinfühligkeit der Eltern vermittelt dem Kind sichere Beziehungserfahrungen von Anfang an. Doch das gegenseitige Kennenlernen braucht Raum und Zeit. Zeitweise Verunsicherung, Missverständnisse und „Fehler“ sind auf diesem Weg verständlich und erlaubt. Denn schon die innere Haltung „Ich kümmere mich, versuche dich zu verstehen und angemessen auf deine Signale zu reagieren", schafft die Basis für ein gutes Miteinander. So können Eltern allmählich in ihre Rollen als Mutter und Vater hineinwachsen.