„Ihr verwöhnt Euer Kind aber, wenn es jetzt so oft bei Euch im Bett schläft.“ – „Springst du bei jedem Weinen?“ – „Schreien kräftigt doch die Lungen!“ Junge Eltern kennen solche Sätze, die Freunde, Bekannte, Verwandte schnell mal dahinsagen. Und sie spüren den Vorwurf dahinter.
Die Folge ist Verunsicherung. Was tut meinem Kind gut? Mache ich als Mutter oder Vater einen groben Fehler, wenn ich es zügig hochnehme, weil es weint, und ein beruhigendes Lied summe? Wenn ich meine Arbeit unterbreche, weil es vielleicht Bauchschmerzen hat?
Beliebte Anlässe, vor dem Verwöhnen zu warnen, sind auch das Schlafen des Kleinen im Elternbett und das Stillen nach Bedarf. Braucht das Baby nicht ganz feste Stillzeiten, damit es sich an einen „vernünftigen“ Tagesrhythmus gewöhnt? Wie soll es im Bett der Eltern selbstständig schlafen lernen?
Kinder abzuhärten, sie auf das raue Leben vorzubereiten, galt lange als Erziehungsideal. Die rigorosen Vorgaben der Eltern sollten ihnen von Anfang an zeigen, was geht und was nicht. Nur so könnten Kinder lebenstüchtig werden. Doch diese Annahmen hat die moderne Säuglingsforschung gründlich widerlegt und gezeigt: In diesem frühen Alter können Eltern ihre Babys überhaupt nicht im negativen Sinn verwöhnen.
Denn: Ein Baby ist von seinen Eltern (oder anderen „Bezugspersonen“) ganz und gar abhängig. Nur sie können seine Bedürfnisse nach Wärme, Nahrung, Zuwendung oder Ruhe befriedigen – und um sie auszudrücken, schreit es. Wenn die Eltern dann zuverlässig, prompt und angemessen reagieren, entstehen im Gehirn des Kleinen wichtige Verknüpfungen: Es fühlt sich sicher und geborgen, und es lernt, dass es durch sein Handeln etwas bewirken kann. Je sicherer es jetzt überzeugt wird, dass seine Bedürfnisse nicht zu kurz kommen, desto besser kann es später darauf warten. Und umgekehrt: Je mehr seine Eltern ihm jetzt versagen, desto ängstlicher wird es in Zukunft danach quengeln.
Das bedeutet nicht, dass Eltern immer und in jeder Minute für ihr Kind „springen“ müssen. Zumal sie sehr bald zu unterscheiden lernen, ob Babys gellendes Schreien wirklich Gefahr im Verzug signalisiert oder ob es nur vor Langeweile knötert. Oft reicht dann schon eine akustische Rückmeldung: „Ja, mein Schatz, ich höre dich. Ich schreib’ nur eben noch die Mail zu Ende ...“ Für ein Baby heißt das: Die Verbindung zu Mama oder Papa „steht“. Ich kann mich sicher und geborgen fühlen und dem Leben trauen.
Babys wirken hilflos. Junge Eltern manchmal auch — als forderten sie Rat geradezu heraus. Manche Mitmenschen lassen sich da nicht lange bitten: „Das Kind schreit? Geben Sie ihm doch einen Schnuller. Das hat schon viele Babys beruhigt. Und Ihr Kleines fängt so erst gar nicht mit Daumenlutschen an.“ Kontra: „Was, einen Schnuller? Wenn das Kind sich daran gewöhnt, läuft es nur noch mit dem Ding im Mund herum. Und was soll aus den Zähnen werden?“
Was ist richtig? Was ist falsch? Eine jederzeit und überall gültige Antwort gibt es selten. Denn jedes Baby ist anders, und der Alltag besteht aus unzähligen Unterschieden. Dafür gibt es keine Rezepte wie im Kochbuch.
Trotzdem müssen nicht jede Mutter und jeder Vater das Leben neu erfinden. Natürlich, ungefragten Allesbesserwissern gehen sie besser aus dem Weg. Deren „todsichere“ Tipps verunsichern nur.
Aber die Erfahrungen von geschätzten Mitmenschen, der Austausch unter einander, der eine oder andere Beitrag in Zeitschriften, Blogs, Podcasts und Büchern — das kann schon den eigenen Horizont erweitern. Vorausgesetzt, die Eltern schalten dabei ihren Verstand, ihre Gefühle und ihre Erfahrungen mit ihrem ganz eigenen Baby nicht aus. Dann helfen auch Ratgeber „von außen“ manchmal, eingefahrene Wege zu überprüfen und neue zu finden, die für dieses Kind und seine Eltern vielleicht besser passen.