Unter Kleinkindern herrschen raue Sitten. Sie schubsen andere Kinder um, ziehen sie an den Haaren, nehmen ihnen Spielzeug weg. Viele Eltern sind entsetzt: Werden aus ihren Kindern später lauter egoistische Erwachsene, die sich auf Kosten anderer durchsetzen?
Doch die Kleinen meinen es nicht böse. Wenn Anne Frederik im Sandkasten die Schaufel wegnimmt, dann verfolgt sie nur ein Ziel: Sie will dieses interessante Ding ausprobieren, jetzt sofort. Sie gehorcht damit einem Impuls, den die Natur ihr mitgegeben hat: ihre Umwelt zu entdecken und zu erproben, um sich darin so bald wie möglich auszukennen und behaupten zu können. Dass sie damit Frederiks Besitzerrechte verletzt,
kommt Anne in diesem Moment nicht in den Sinn.
Manchmal will sie anderen Kindern nicht einmal irgendetwas wegnehmen, sondern „nur“ Kontakt aufnehmen, sie auf sich aufmerksam machen und vielleicht eine gemeinsame Aktivität einleiten. Doch weil Anne ihre Kraft noch nicht richtig dosieren
kann, gerät ihre „Ansprache“ ungewollt heftig. Dass sie ihren Mitmenschen dabei wehtun könnte, ahnt sie nicht. Oft erschrickt sie selbst, wenn die anderen losbrüllen.
Die vermeintlichen Sandkasten-Rowdys sind also weder „böse“ noch „verhaltensgestört“. Sie wollen nur ihren Willen durchsetzen. Allerdings fehlen ihnen dazu die angemessenen, vor allem sprachlichen Mittel. So drücken sie sich eben anders aus – eindeutig, aber leider auch sehr rabiat. Also müssen die Eltern eingreifen und ihnen ruhig klarmachen: „Du darfst andere nicht hauen. Das tut weh.“ Und vor allem ihnen zeigen, wie’s richtig geht: „Darf ich bitte mal deine Schaufel haben?“
Ganz klar: Bis Anne & Co. den guten Ton im Sandkasten (und anderswo) beherrschen, müssen ihre Mütter und Väter noch Geduld haben und Vieles erklären. Deswegen den Kontakt zu anderen Kindern zu meiden, hilft nicht weiter. Schließlich lernen Kinder soziales Verhalten nur durch den Umgang mit anderen. Und das ist oft wirkungsvoller als das Eingreifen von Erwachsenen.