Da liegt es in Mamas Arm und schläft. Am Lieblingsplatz des großen Bruders oder der großen Schwester! „Guck mal, dein Geschwisterchen“, sagt Papa. „Freust du dich?“
Jedes halbwegs gescheite Dreijährige weiß, welche Antwort jetzt erwartet wird. Und nickt. Aber die Blicke und die Körpersprache vieler Kinder verraten in diesem Moment einen Mischmasch von Gefühlen, vor allem Unsicherheit: Warum liegt Mama im Bett? Ist sie krank? Und: Wo ist jetzt mein Platz, wenn das Baby in ihrem Arm liegt?
Geschwisterbeziehungen sind nicht sofort da, sie müssen erst wachsen. Bis die Großen und die Kleinen sich eingespielt haben, vergehen anderthalb, zwei Jahre – plus/minus, je nach Temperament der Kinder, ihrem Altersabstand und der Zeit und Zuwendung, die Eltern, Großeltern und andere liebe Menschen ihnen widmen (können).
Eine Vorahnung von dem, was nach der Geburt des Geschwisterchens auf sie wartet, bekommen die älteren Kinder schon in den Monaten davor. Sie dürfen nicht mehr auf Mamas Bauch hopsen, und beim Fangen spielen kommt sie sofort aus der Puste – blöd! Immerhin gibt’s auch schöne Momente: eng an Mama gekuschelt Bilder aus der eigenen Babyzeit angucken, die Fußtritte des Babys in ihrem dicken Bauch fühlen, mit ihr zusammen Babysachen aussuchen … Da kommt Vorfreude auf.
Doch nach der Geburt entpuppen sich die neuen Schwestern und Brüder erst einmal als ziemlich langweilig. Sie schlafen viel, schreien zeitweise und kosten Mama und Papa viel Zeit, die den großen Kindern abgeht. Klar, dass die schon mal eifersüchtig werden. Das ist völlig normal, erklären Entwicklungspsychologen, und es bedeutet keineswegs, dass die Beziehung der Eltern zu ihren Erstgeborenen auf der Kippe steht. Aber es weist darauf hin, worauf es jetzt ankommt: dafür zu sorgen, dass die älteren über der Arbeit mit den jüngsten emotional nicht zu kurz kommen. Besonders wertvoll sind dazu Rituale, zum Beispiel beim Schlafengehen; gut, wenn Eltern sich diese und andere „exklusive“ Zeiten für die Erstgeborenen reservieren können. Und wenn auch die Großeltern, Paten und anderen Besucher sich gezielt dem Großen widmen, statt nur das Baby zu bewundern.
Viel Geschwisterlichkeit dürfen Eltern dagegen noch nicht erwarten. Prima, wenn die große Schwester der Mama beim Wickeln hilft oder der große Bruder dem kleinen ein Schlaflied singt. Eine Pflicht machen Eltern daraus aber besser nicht.
Erst nach einem halben Jahr werden die kleinen Schwestern und Brüder für die großen allmählich interessanter. Sie reagieren jetzt immer wacher und neugieriger auf ihre Umwelt, werden beweglicher und verstehen von Tag zu Tag mehr. Was für ein Spaß, mit ihnen „Guck-guck!“ zu spielen und um die Wette zu krabbeln! Allerdings hat ihre wachsende Reichweite auch eine Kehrseite: Wenn die Großen nicht höllisch aufpassen, haben die Kleinen im Handumdrehen die mühsam aufgebaute Spielzeug-Landschaft verwüstet. Kein Wunder deshalb, dass es jetzt zwischen den Geschwistern öfter mal handgreiflich kracht; je jünger die Erstgeborenen selbst noch sind, desto hilfloser sind sie in solchen Momenten ihren Gefühlen ausgesetzt. Also sind die Eltern als Schlichter gefordert. Den Großen gilt es klarzumachen, dass Hauen und Beißen verboten sind; zugleich brauchen sie aber die Sicherheit, dass Mama und Papa sie verstehen und ihre Rechte respektieren. Andererseits müssen Eltern den Erkundungsdrang der Jüngeren in die richtigen Bahnen lenken. Dazu gehören neben einem klaren „Nein“ bei Übergriffen auf die Heiligtümer der Großen vor allem Spiel- und Stauräume, die die kleinen Chaoten nicht erreichen. So können alle zusammen immer öfter die schönen Seiten des Geschwisterlebens genießen: Wie die Kugelbahn funktioniert, erklärt niemand der kleinen Schwester so geduldig wie der große Bruder. Und ihre bewundernden Blicke sind Balsam für seine Seele!