Tom und Marie sind Zwillinge und ein eingespieltes Team. Tom ist eher der Draufgänger und aktive Eroberer, zugleich aber sehr fürsorglich zu seiner Schwester und beschützt sie in Situationen, in denen sie ängstlich zurückschreckt. Marie geht vorsichtiger auf Neues zu und wartet lieber erst mal ab, was ihr Bruder erreicht; sie liebt und bewundert Tom für seinen Mut. Seit sie drei Jahre alt sind, gehen die beiden zusammen in die Kita.
Doch jetzt muss Marie zum ersten Mal ohne ihren Bruder zurechtkommen. Denn Tom ist ein Heuschnupfen-Kind, deshalb fährt seine Mutter mit ihm für einige Wochen zu einer Kur ans Meer; Marie bleibt bei Papa und Oma zu Hause und geht weiter in den Kindergarten. Aber nicht alleine, wie ihre Erzieherinnen gleich am ersten Tag erstaunt feststellen: Marie hat ein imaginäres Pferd mitgebracht. Sie führt es an der Leine, bindet es an ihrem Stühlchen fest, bindet es wieder los, wenn sie etwas zum Spielen holt, nimmt es mit, kommt zurück, bindet es wieder fest, gibt ihm zu fressen und zu trinken. Das geht so über Wochen; Marie sorgt konzentriert und zuverlässig für ihren unsichtbaren Freund. Die Erzieherinnen sind fasziniert und auch ein bisschen erschrocken, denn egal wie intensiv Marie spielt, malt oder bastelt, ihr Pferd vergisst sie nie ...
Die kleine Marie ist in seelische Not geraten, denn zum ersten Mal muss sie eine herausfordernde Situation ohne ihren Bruder meistern. Jetzt könnte sie einen guten Freund brauchen! Groß und stark müsste er sein, damit er sie beschützen kann – ein Pferd zum Beispiel wäre gut! Es hilft ihr, mit der Trennung von ihrer Mutter zurechtzukommen und sich auch ohne Toms Schutz in der Kita sicher zu fühlen. Wenn das gelungen ist, wird sie das Pferd eines Tages vergessen; es hat dann seine Aufgabe erfüllt.
Übergangsobjekte wie Maries Pferd helfen Kindern, eine Brücke zu schaffen zwischen sicherem Gelände, auf dem sie sich geborgen fühlen, und neuem, unbekanntem Terrain, auf das sie sich hinauswagen (müssen). Sie können ganz verschiedener Art sein: ein Tuch, das noch ein bisschen „nach Mama“ riecht, ein Kuscheltier, ein kleines Kissen. Oder eben auch Fantasiegefährten wie eine imaginierte „große“ Schwester oder ein Tier. Manchmal werden sie wie bei Marie aus der Not geboren, andere sind „nur“ Spielgefährten, die das Leben bunter machen. Und für die Erwachsenen manchmal ein Grund zum Nachdenken, gerne zum Mitspielen – und auf keinen Fall zum Verjagen.