Was sollen Emmas Eltern jetzt davon halten? Ihre Tochter hatte so gestrahlt, als sie das liebevoll ausgesuchte und bestimmt nicht billige Mitbringsel von Mamas Freundin auspackte, und sich herzlich bedankt. Aber jetzt, wenige Minuten später, spielt Emma nur mit der Verpackung. Der Karton hat sich in ein Puppenbett verwandelt, das Geschenkpapier in schicke Bettwäsche für ihre Lieblingspuppe. Das eigentliche Geschenk steht derweil abseits …
Ob Spielzeug- oder Schuhkarton, Küchen- und Klopapierrollen, Stoffreste, Stöcke oder Steine: Oft sind es gerade die einfachsten Dinge, die die Fantasie von Kindern wecken. Überall in der Wohnung und in der Natur entdecken sie versteckte Spielideen. Mit einer Decke und ein paar Stühlen bauen sie im Nu eine Höhle; wunderbar, wenn Geschwister, Freunde oder Eltern mitmachen und gemeinsam eine Geschichte darum spinnen – vielleicht von einer Bärenfamilie, von Trollen oder Räubern? Schachteln und Kartons lassen sich mit Farbe, Schere und Klebstoff als Puppenstube oder Zoo-Gehege für Spielzeug-Figuren gestalten, oder sie entwickeln sich zu Außerirdischen mit Haaren aus Wollresten und Knöpfen als Augen. In einem Wäschekorb stechen junge Abenteurer* zu Fantasiereisen in See, mit Kochlöffeln als Ruder und einer Küchenrolle als Fernrohr. Leere Plastikflaschen werden zum Parcours, der zum Slalomlaufen, Rollern oder Radeln einlädt. Und was wohl in Zeitungen und Joghurtbechern, Wäscheklammern, Eierkartons, Steinen, Ästen und Kastanien alles drinsteckt?
Im Garten meines Lebens
wachsen
Bäume
Blumen auf bunter Wiese
Im Garten meines Lebens
locken
verwilderte Winkel
undurchschaubares Dickicht
Im Garten meines Lebens
erkenne ich
Dornen
brennende Nesseln
Im Garten meines Lebens
darf alles da sein
birgt alles in sich
einen geheimnisvollen Sinn
Margot Bickel
Im Garten meines Lebens. S. 9. Aus: dies.; Trau deinem Herzen © 2018, Verlag am Eschbach, ein Unternehmen der Verlagsgruppe Patmos in der Schwabenverlag AG
www.verlag-am-eschbach.de.
Das große Plus dieses Zeugs zum Spielen gegenüber üblichem Spielzeug ist (abgesehen davon, dass es keinen Cent kostet): Es ist „unfertig“, nicht einseitig auf eine Nutzung festgelegt; umso freier können Kinder ihre Fantasie damit entfalten. So entsteht eine Wirklichkeit aus erster Hand, die sie selbst gestalten – ganz anders als beim Umgang mit „fertigem“ Spielzeug, der Playstation oder beim Fernsehen, wo sie eine Kunstwelt aus zweiter Hand konsumieren, die sie weder aktiv selbst erkunden noch verändern können. Beim Spielen mit Alltagsmaterial erfahren sie sich als neugierig, kreativ und selbstwirksam, entwickeln Freude am Experimentieren und Entdecken. Und ihre Eltern freuen sich über selbstbewusstere, zufriedenere Kinder.