Passt der gute weiße Ritter aus dem Vorlesebuch, das Johann so liebt, wirklich in jeder Nacht verlässlich auf, dass die Monster nicht unter dem Bett herauskommen? Und ist der Nikolaus, der gestern die Kita besucht hat, überhaupt der echte? Der große Florian hat jedenfalls behauptet, sein Onkel hätte sich nur als Nikolaus verkleidet!
Johann durchlebt gerade eine Entwicklung, die Fachleute als „Abschied von der magischen Phase“ bezeichnen. Gerade noch haben Hexen und Elfen, Ritter und Monster, auch der Osterhase und das Christkind seine Welt teils bedrohlich, teils helfend bevölkert. Doch jetzt gewinnt allmählich ein neuer Realismus die Oberhand; Johann lernt zu unterscheiden, was wirklich ist und was ins Reich der Fantasie gehört. Hirnforscher können das beobachten: Die linke Gehirnhälfte, die für das logische Denken zuständig ist, gewinnt in diesem Alter mehr Einfluss gegenüber der rechten, die Geschichten liebt und gerne alles Erlebte in Zusammenhang bringt. Eben noch vertraute Johann darauf, dass der weiße Ritter ihn beim Klettern auf dem Spielplatz notfalls auffängt und ihm bei Auseinandersetzungen mit älteren Kindern beisteht – jetzt versteht er immer deutlicher, dass er selbst auf sich achtgeben muss.
Für Fünfjährige ist das keine leichte Zeit. Johanns Eltern merken das daran, dass ihr Sohn neuerdings extrem dünnhäutig ist. Wenn die Mutter nur mal streng schaut, fängt Johann schon an zu weinen, erst recht wenn sie schimpft. Überhaupt nimmt er sich alles, was nicht glattläuft, sehr zu Herzen. Kein Wunder: Die Entzauberung seiner inneren Welt lässt ihn wahrnehmen, dass er verletzlich ist und dass er vieles alleine noch nicht sicher kann. Und er weiß, wie sehr er noch auf Mamas und Papas bedingungslosen Rückhalt angewiesen ist. Deshalb ist es ihm so wichtig, dass alles gut ist zwischen ihm und seinen Eltern.
Auf der anderen Seite äußert sich die neue Ordnung in Johanns Gehirn in einer fast fieberhaften Wissbegier. Johann rechnet schon gerne und versucht immer öfter, Buchstaben zu Wörtern zusammenzusetzen. Er fragt und fragt und fragt – neulich wollte er wissen: „Was ist eigentlich eine Supernova?“ Seine Mama war ziemlich verdutzt und dachte: Es wird Zeit, dass das Kind in die Schule kommt.
Wäre da nur nicht diese extreme Sensibilität – könnte die Schule Johann am Ende doch überfordern? Doch nach der U9 bescheinigt ihm der Kinderarzt, dass er ein aufgewecktes Kind ist und der Einschulung nichts entgegensteht. Auch nicht seine momentane Unausgeglichenheit, die die Eltern am ehesten mit viel Verständnis beruhigen können (> EB 29, Motzig, dünnhäutig und liebeshungrig).