Seit einer ganzen Weile lernt das Kind jetzt schon lesen, und Angst vor der Dunkelheit im Kinderzimmer hat es schon lange nicht mehr. Braucht es das also wirklich noch, dass die Eltern Abend für Abend bei ihm an der Bettkante sitzen, ihm ein oder zwei Kapitel vom kleinen Ritter Trenk vorlesen und hoffen, dass dem Sechsjährigen dabei die Augen zufallen?
Klar: Schulkinder können sich auch allein im Bett ein Buch anschauen; die Eltern müssten nur später noch einmal nachschauen und das Licht löschen. Aber es gibt gute Gründe, das liebgewordene Gute-Nacht-Ritual noch ein bisschen länger beizubehalten.
Der Wichtigste: Es bietet Eltern und Kindern eine ideale Möglichkeit, die Ereignisse des Tages noch einmal Revue passieren zu lassen und zu verarbeiten. Erfolge und Enttäuschungen in der Schule, Ärger mit Schul- und Spielgefährten, manchmal auch Streit mit den Eltern um Selbstständigkeits- und / oder Konsumwünsche – tagsüber bleibt für gründliche Gespräche darüber oft zu wenig Zeit. Oft merken Mama oder Papa auch im Nachhinein, dass ihre erste Reaktion „auf die Schnelle“ vielleicht doch nicht die beste war; jetzt, an der Bettkante, wäre die Chance, noch einmal gemeinsam in Ruhe darüber nachzudenken. Und auf jeden Fall gewinnen Väter und Mütter bei dieser „Tagesschau“ einen tieferen Einblick in die Gedanken, Gefühle, Pläne und Nöte ihrer Kinder.
Diese Gespräche können Eltern zwanglos in ein frei formuliertes Nachtgebet münden lassen. Allerdings dürfen sie dabei nicht der Versuchung verfallen, die Konflikte des Tages nachzukarten, den Kindern nachträglich ins Gewissen zu reden und den lieben Gott als Erziehungshelfer einzuspannen. Vielmehr müssen die Kinder spüren: Auch wenn’s tagsüber hoch herging und die Eltern mit mir unzufrieden waren – sie behalten mich lieb. In dieser Gewissheit können sie versöhnt schlafen.