Familie X nimmt alles mit. An jedem Wochenende ist sie unterwegs, ab und zu alle zusammen, öfter jeder für sich: zum Jahrmarkt, zum Fußball, zum Rock-Open-Air, ins Kino. Oder das Haus schwirrt von Besuchern. Wochentags hat die Mutter ihr Aerobic und die Kommunalpolitik, der Vater den VfL und die Fortbildung, Martin (7) nach der Ganztagsschule noch die Naturschutzgruppe und Judo. Oft geben sie sich zu Hause nur die Klinke in die Hand.
Anders Familie Y: Hier wird Gemeinsamkeit groß geschrieben. Am Samstag Großeinkauf, danach zusammen zum Schnellimbiss, am Sonntag Radtour oder Ausflug, am Mittwoch Feierabend im Hallenbad: Das alles ist Ritual. Nora (7) muss ihren Freundinnen deshalb manchmal absagen. Die Mutter hat den Handball, der Vater den Chor aufgegeben, damit sie sich ganz der Familie widmen können.
So extrem diese Familien auch leben: Von beiden können andere sich eine Scheibe abschneiden. Von Familie X: Kontakte nach „draußen“ tun gut. Durch andere Eltern bekommen Mütter und Väter neue Ideen, wie sie – zum Beispiel – mit Schulproblemen umgehen oder familiengerecht Urlaub machen können. Die Kinder erweitern ihren Horizont durch Spielgefährten, die – zum Beispiel – keine Wurst essen oder in einem Handwerksbetrieb aufwachsen. „Draußen“ kann jeder Hobbys pflegen, die in der Familie niemand teilt. Oder sich bei Freunden ausweinen, wenn es „drinnen“ Knatsch gibt. Das alles bereichert und erleichtert das Familienleben.
Von Familie Y: Familien brauchen Zeiten „unter sich“. Besonders die Kinder können vieles, was sie „draußen“ oder durch die Medien miterleben, sonst kaum einordnen. Warum haben einige Klassenkameraden zwei Väter und andere keinen? Wie werden Menschen obdachlos? Noch wichtiger: Die Stunden „unter sich“ wecken Zugehörigkeit und Geborgenheit. Das tut Erwachsenen genauso gut wie Kindern. Sie brauchen „leere“ Zeiten, die die Chance zum Reden über Gott und die Welt eröffnen: die „blaue Stunde“ am Abend, das Zusammensitzen am unabgeräumten Esstisch.
Die Lebensweisen beider Familien bergen aber auch Fallen. Bei den einen könnte sich vor lauter Aktivitäten die Zusammengehörigkeit verflüchtigen; bei den anderen droht die diktierte Gemeinsamkeit die individuelle Entwicklung jedes Einzelnen zu ersticken. Stattdessen brauchen Familien ein Gleichgewicht, das die unterschiedlichen Bedürfnisse austariert: „draußen“ neue Anregungen zu finden und Beziehungen zu knüpfen, „drinnen“ Rückhalt und Geborgenheit zu spüren, sich zeitweise aber auch ganz auf sich selbst zurückzuziehen. Diese Balance lässt sich kaum ein- für allemal finden; jede und jeder spürt mal dieses, mal jenes Bedürfnis stärker. An einem Sonntag hat Nora mehr Lust, mit ihren Freundinnen zu spielen, am nächsten auf die Radtour mit den Eltern. Warum nicht? Familien brauchen eine Wohnung mit Türen und Fenstern, die sie je nach Bedarf öffnen und schließen können; sowohl in einem Käfig als auch in einem Hotel lebt sich’s auf Dauer ziemlich ungemütlich …