Eine liebevolle Erziehung hilft auch, vor sexueller Gewalt zu schützen
Eine liebevolle Erziehung hilft auch, vor sexueller Gewalt zu schützen
Kann das auch meinem Kind passieren? Diese Angst spüren alle Eltern, wenn wieder einmal ein Fall von sexueller Gewalt gegen Kinder Schlagzeilen macht. Zumal Mütter und Väter eigentlich schon wissen: Gegen rücksichtslose Erwachsene haben auch die stärksten, selbstbewusstesten Fünf- oder Achtjährigen keine Chance. Ja, das kann jedem Kind passieren.
Andererseits wissen Fachleute z. B. bei der Kriminalpolizei oder Beratung: Die Wahrscheinlichkeit, dass Mädchen und Jungen solchen Verbrechen zum Opfer fallen, steigt und sinkt mit ganz bestimmten Eigenschaften und Fähigkeiten der Kinder. Darum geht’s:
Kinder, die bei ihren Müttern und Vätern genügend Aufmerksamkeit, Anerkennung und Zärtlichkeit bekommen, sind weniger anfällig für zweifelhafte „Angebote“ von anderen. Die abendliche Kuschel- oder Vorlesezeit und andere Rituale, die Kinder lieben, sind also nicht nur schön fürs Gefühl, sie schützen Kinder auch!
Dazu gehört auch, dass Kinder ihrer sexuellen Neugier im geschützten Rahmen der Familie nachgehen und mit den Eltern darüber reden können (mehr dazu hier).
Kinder lieben es, in den Arm genommen und gestreichelt zu werden, aber nicht immer und nicht von jedem. Manchmal verziehen sie ihr Gesicht, drehen sich weg und/oder machen den Rücken steif. Das sind klare Signale: Nein, jetzt will ich nicht geknuddelt werden.
Verwandte und Bekannte, aber auch die Eltern selbst nehmen das manchmal nicht ernst: Sie wollen dem Kleinen nichts Böses! Aber zum Schmusen gehören zwei, die sich einig sind. Damit sie das von Anfang an lernen können, haben sie Anspruch auf Unterstützung, wenn sie unerwünschte Zärtlichkeit ablehnen. Sie brauchen Mütter und Väter, die – zum Beispiel – die unwillige Miene ihres Sohns übersetzen: „Ich glaube, Anton will jetzt keinen Kuss.“ Die Erfahrung, das Maß an Zärtlichkeit selbst bestimmen zu dürfen, bestärkt Kinder darin, sich gegen ungewollte Berührungen zu wehren.
„Das hat wehgetan.“ Das spürt ein Kind genau. Und genauso, dass es satt ist. Aber warum sagt der Papa dann: „Das hat doch gar nicht wehgetan!“, oder die Mama: „Du musst noch etwas essen.“?
Vorsicht, Eltern – aus solchen Sätzen könnten Kinder folgern: „Meine Gefühle sind nicht richtig. Die Erwachsenen wissen besser, was gut für mich ist.“ Auf die Dauer verlieren sie dadurch das Vertrauen in die eigenen Gefühle und den Zugang zu ihrem wichtigsten Selbstschutz: ihrer inneren Stimme. Umso leichter könnten andere ihnen einreden, etwas schön zu finden, was ihnen eigentlich doch Angst macht …
Zugegeben: Kinder, die sich ohne große Widerworte schnell anpassen, sind für ihre Eltern oft bequem. Aber die lauten, eigenwilligen, die sich ihrer Bedürfnisse sicher sind, können sich „draußen“ besser behaupten. Das können Kinder im Alltag bei vielen Gelegenheiten trainieren: wenn sie entscheiden können, ob sie eine Jacke anziehen wollen, wenn sie im Restaurant die Spaghetti selbst bestellen oder den Papa an das versprochene Spiel erinnern, während er zeitvergessen mit dem Nachbarn redet. Väter und Mütter, die das wohlwollend akzeptieren, fördern damit die Fähigkeit ihrer Kinder, ihre Wünsche und Rechte auch Erwachsenen gegenüber selbstbewusst zu vertreten.
Dazu gehört auch, dem Nachwuchs nicht nur scheinbar Entscheidungsfreiheit zuzubilligen – und zum Beispiel nicht zu schimpfen, wenn er die Frage „Magst du den Tisch decken?“ mit einem klaren „Nein!“ abschmettert. (Ein einfaches „Deck’ bitte den Tisch!“ hätte klar ausgedrückt, was Mutter oder Vater erwartet.)
Eltern können ihre Kinder nicht rund um die Uhr beaufsichtigen. Jedes Kind muss lernen, auf sich selbst aufzupassen und heikle Situationen zu meistern. Gut deshalb, wenn Mütter und Väter das Streben nach Selbstständigkeit und eigenen Erfahrungen fördern und sie allein zum Bäcker oder auf den Spielplatz gehen lassen, sofern die Umstände das zulassen. Klare Absprachen können diese Selbstständigkeit unterstützen: Die Eltern müssen jederzeit wissen, wo ihr Kind ist, seine Spielgefährten und deren Eltern kennen und sich darauf verlassen können, dass es zur vereinbarten Zeit nach Hause kommt. Und die Kinder müssen ihrerseits wissen, wie sie Vater oder Mutter erreichen können, wie sie sich in schwierigen Situationen am besten verhalten und wen sie notfalls um Hilfe bitten können.
Was und wie viel Kinder ihrer Mutter oder ihrem Vater erzählen, hängt entscheidend von deren Reaktionen ab: Hören sie erst einmal zu? Fragen sie bei Unklarheiten nach? Versuchen sie, sich in die Welt der Kinder hineinzuversetzen und sie zu verstehen? Überlegen sie mit ihnen gemeinsam, was zu tun ist? Oder haben sie sofort ein fertiges Urteil zur Hand und schimpfen sogar, wenn ihr Kind sich ungeschickt oder „falsch“ verhalten hat?
Je nachdem fällt es Kindern leichter oder schwerer, von bedrückenden oder „komischen“ Erlebnissen zu erzählen, die sie mit anderen gemacht haben.