Mein Partner und ich wollen bald heiraten; jetzt sind wir schon zusammengezogen und haben so praktisch unsere "neue Familie" gegründet. Seitdem will Naomi (8), die Tochter meines Partners, nichts mehr mit mir zu tun haben. Dabei haben wir uns vorher so gut verstanden! Sie lebt meist bei ihrer Mutter und kommt nur einmal wochentags und an jedem zweiten Wochenende zu uns. Für meine eigenen Kinder (2 und 4), die hauptsächlich bei mir wohnen, ist das nicht so ein Problem.
Lassen Sie Naomi Zeit! Wenn die leiblichen Eltern sich trennen und neue Partner wählen, fühlen sich Kinder oft zwischen allen Stühlen; damit umzugehen müssen sie erst lernen. „Rückfälle“ wie bei Naomi gehören dazu. Möglicherweise hat sie sich gerade an eine Art „Schwebezustand“ gewöhnt, in den sie nach der Trennung ihrer Eltern geraten ist, da schaffen der Umzug und die Hochzeit ihres Vaters wieder neue Fakten und dokumentieren endgültig: Eine Rückkehr nach „früher“ gibt es nicht mehr! Kein Wunder, dass ihre Trennungsschmerzen wieder aufflammen!
Die Trennung ihrer Eltern zu verarbeiten, fällt Kindern schwer genug; die Erwartung, dass sie sich nun auch noch mit Papas neuer Frau (oder Mamas neuem Mann) anfreunden, empfinden sie oft als Aufforderung zum Hochverrat an ihrer „leiblichen“ Familie und stürzt sie in heftige Loyalitätskonflikte. Wenn Naomi sich trotzdem bisher gut mit Ihnen verstanden hat, ist das eine tolle Anpassungsleistung für eine Achtjährige! Aber „ganz tief drinnen“ hat sie vielleicht noch gehofft, dass ihre leiblichen Eltern wieder zusammenkommen; das Ende dieser Hoffnung muss sie erst verarbeiten. Dabei kann gerade Ihr freundlicher Umgang miteinander bei Naomi tiefe Zweifel auslösen, weil sie ihrem Vater wie ihrer Mutter loyal sein möchte.
Für Naomis Verhalten spielen auch ihre beiden Kinder (die in ihrem Alter die Trennung der Eltern vermutlich weniger genau beobachtet haben) eine Rolle. Aus Naomis Sicht wohnt Papa jetzt mit seiner neuen Frau und deren Kindern auf Dauer zusammen, sie selbst ist nur punktuell am Familienleben beteiligt. Wie wichtig ist sie dann noch für ihren Vater? Ist sie noch „gewollt“ oder austauschbar? Wird sie durch die neuen Kinder ersetzt? All das sind Fragen, die ihr eventuell durch den Kopf gehen, sie beschäftigen und in ihrer Rolle verunsichern. Auch wenn für Sie und Ihren Mann klar ist, dass Naomi immer die Tochter ihres Vaters bleibt und durch nichts zu ersetzen ist, heißt das nicht, dass diese Botschaft auch bei ihr ankommt. Jede Bestätigung kann da helfen, auch ein Gespräch darüber, dass sie Naomis Mutter nicht ersetzen wollen. Wenn Naomi merkt, dass es da keine Konkurrenz geben muss, kann das sie sehr entlasten. Vielleicht überlegen Sie auch einmal zusammen mit Ihrem Mann, ob sie Naomi einen Status als „Besuchskind“ einrichten möchten oder ob Sie sie als „zeitweilig abwesendes Familienmitglied" sehen wollen, das vielleicht sogar ein eigenes Zimmer in der Wohnung hat und für das die „ganz normalen“ Regeln wie für alle anderen gelten, was zum Beispiel die Mithilfe im Haushalt angeht. Und sprechen Sie dann auch gemeinsam mit Naomi darüber, denn je transparenter die Situation für sie ist, um so leichter kann sie damit umgehen.
Bei Ihren Überlegungen vergessen Sie bitte nicht: Naomis (derzeitige) Ablehnung gilt nicht Ihnen persönlich; jeder anderen „Neuen“ ihres Vaters würde es genauso ergehen. Und dass sie sich bisher gut verstanden haben, wird sich auf die Dauer als ein Kapital erweisen, das Ihrem Verhältnis in Zukunft zugutekommt.
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