Seit ein paar Monaten haben wir neue Nachbarn, sehr nette Leute, deren Kinder (4 und 7) sich mit unseren (3 und 8) gut vertragen. Helena und Martin fragen sogar immer öfter, wann die Nachbarskinder wieder einmal bei uns übernachten können. Eigentlich habe ich nichts dagegen - aber mittlerweile passe ich so oft auf die Nachbarskinder auf, deren Eltern viel unterwegs sind, dass ich mich ausgenutzt fühle. Auf entsprechende Andeutungen reagieren die Nachbarn bisher gar nicht, und ich möchte den Kontakt ja auch nicht ganz abbrechen...
Ja, es ist keine angenehme Aufgabe und verlangt eine gute Portion Fingerspitzengefühl, Menschen, die wir „eigentlich“ mögen, mit ihren „Fehlern“ und Unzulänglichkeiten zu konfrontieren. Aber es führt wohl kein Weg daran vorbei; mit dem Versuch, Ihre Unzufriedenheit wegzudrücken und trotzdem nett zu bleiben, würden Sie sich auf Dauer selbst überfordern.
Um mit den Nachbarn „vernünftig“ und zielführend sprechen zu können, müssen Sie allerdings zunächst Ihre eigenen Gefühle, Vorstellungen und Wünsche klären, vielleicht auch im Gespräch mit Ihrem Mann oder einer Freundin. Wo ist für Sie die Grenze zwischen „normalen“ Spielkontakten der Kinder und einer Beschäftigung als „Tagesmutter auf Abruf“? Wie viel „Gegeneinladungen“ erwarten Sie, damit Sie nicht das Gefühl haben, einseitig ausgenutzt zu werden? Ehrlicherweise müssten Sie sich dabei auch fragen, ob es nur die neuen Nachbarn sind, die Ihre Unzufriedenheit auslösen. Wie stellen Sie sich Ihr Leben, Ihren Alltag überhaupt vor?
Je nach dem könnte Ihr zweiter Schritt darin bestehen, die Bereitschaft Ihrer Nachbarn zu mehr Gegenseitigkeit auszutesten. Wie reagieren sie auf Bitten, ihrerseits ab und zu ein paar Stunden lang auf Ihre Kinder aufzupassen oder sie gar über Nacht zu beherbergen – wenn sie doch, wie Sie sagen, „sehr nette Leute“ sind? Wenn dieser Versuch zu nichts führt, hilft nur noch das Gespräch mit den allen Beteiligten; das heißt: nicht nur mit Ihren Nachbarn, sondern auch mit Ihren Kindern.
Bei solchen Konfliktgesprächen hat es sich bewährt, erst einmal die gemeinsame Basis positiv zu benennen: Ihre Freude darüber, dass die Kinder sich so gut verstehen, das gegenseitige Vertrauen, das sich darin ausdrückt, die Kinder der Obhut der Nachbarn zu überlassen. Dann können Sie Ihre Lage erklären – möglichst ohne Ihre Nachbarn mit Vorwürfen in die Defensive zu drängen. Vielleicht haben sie ja auch ihrerseits eine besondere Situation und verständliche Gründe für ihre Verhalten: wenig Platz in der Wohnung? „Prekäre“ Arbeitsbedingungen? Erst wenn Sie beide Seiten kennen, haben Sie eine gute Basis für sachgerechte Entscheidungen und Veränderungen, die beiden Familien zusagen.
Möglich, dass Sie eine solche Lösung nicht finden mit der Folge, dass die Kinder nicht mehr so oft miteinander spielen oder auch übernachten können. Das müssten Sie dann Ihren Kindern erklären – ohne die Nachbarn abzuwerten und mit Respekt für ihre Motive und ihr Verhalten; sonst könnten die Kinder in einen Loyalitätskonflikt zwischen ihren Eltern und ihren Freunden geraten. Andererseits bieten Ihre Erklärungen ihnen die Chance, ihre Mutter mit ihren ganz persönlichen Wünschen zu verstehen und zu lernen, wie sie sich auch selber gegen Überforderung oder Ausnutzung abgrenzen und wehren können.
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