Anton, sieben Monate alt, ist das erste Enkelkind unserer beider (Schwieger-)Eltern, und sie können nicht genug von ihm bekommen und überschütten ihn mit Zuwendung und Geschenken. Gibt es eigentlich ein richtiges Maß fürs Verwöhnen?
Das kommt sehr darauf an, was Sie unter „Verwöhnen“ verstehen.
Sofort reagieren, wenn Anton schreit? Die früher verbreitete, teils auch heute noch anzutreffende Annahme, Eltern könnten ihre Kinder damit verwöhnen und zu „Tyrannen“ erziehen, die ihre gesamte Umgebung ihrem eigenen Willen unterwerfen wollen, geht in die Irre. Sie unterstellt den Kindern ein strategisches Denken und die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, die sie frühestens ab dem vierten, fünften Jahr entwickeln. Auf das Schreien von Babys zu reagieren vermitteln ihnen ganz im Gegenteil ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit, das es ihnen umso eher ermöglicht, auf die Erfüllung von Bedürfnissen und Wünschen zu warten. Schon sehr bald genügt dann oft eine akustische Reaktion („Ja, ich habe Dich gehört.“ oder „Ich komme gleich.“), um ein Baby zu beruhigen, obwohl es den genauen Inhalt der Worte noch nicht versteht.
Alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumen? Anton kommt jetzt in einem Alter, in dem er seine Umgebung mehr und mehr erkunden möchte. Dabei wird er öfter Erfahrung machen, dass er noch nicht alles kann, was er möchte. Vielleicht haben Sie das ja auch schon erlebt: dass er sich vom Rücken auf den Bauch rollen konnte, dann aber den „Rückweg“ nicht mehr schaffte. Oder dass er den Ball, mit dem er spielen wollte, trotz aller Anstrengung nicht erreichte oder sich gar noch weiter davon entfernte. Natürlich wäre es herzlos, ihm dabei einfach nur zuzusehen. Umgekehrt hilft es den Kindern nicht, wenn „liebe“ Erwachsene ihm den Ball sofort in die Hände drücken. Alle Wünsche sofort zu erfüllen und alle Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu räumen - ob jetzt oder auch in einem späteren Alter – bringt Kinder um eine wichtige Erfahrung: die eigenen Fähigkeiten und Stärken realistisch einzuschätzen und etwas aus eigener Kraft zu erreichen. Die bessere Lösung wäre also: den Kindern Mut zu machen, nur so viel Hilfe zu leisten, wie sie unbedingt brauchen (ihnen zum Beispiel eine Hand zum Abdrücken unter die Füße zu halten, damit sie wirklich vorwärts kommen), und nur solche Hindernisse zu beseitigen, die für sie tatsächlich (noch) unüberwindbar sind. Getreu der Devise der Reformpädagogin Maria Montessori: Hilf mir, es selbst zu tun.
Die Kinder mit Geschenken und anderem „Material“ überhäufen? In diesem Fall lohnt es sich, mit den Großeltern zu reden, am besten mit allen gleichzeitig. Klar ist: Die Zahl der Spielsachen, die Babys und Kleinkinder sinnvoll nutzen können, ist begrenzt; zu viel lenkt eher ab, statt zu bereichern. Und vor allem drückt sich Liebe ja viel mehr als in „Material“ in geschenkter Zeit und Zuwendung aus – und davon könnten alle profitieren, Anton, seine Großeltern und auch Sie als Eltern.
Noch ein Wort zu dem beliebten Argument, Großeltern dürften verwöhnen, zum Erziehen seien die Eltern da: Es stimmt, dass unterschiedliche Regeln bei Mama und Papa einerseits und bei Oma und Opa andererseits Kindern nicht schaden. Und besonders älteren Kindern tut es oft gut, wenn sie bei den Großeltern ein offenes Ohr für ihre Suche nach mehr einerseits Unabhängigkeit von den Eltern finden. Aber diese Unterschiede dürfen bei den Kindern nicht den Eindruck erwecken, dass nur die einen es „richtig“ und die anderen es „falsch“ machen; gut deshalb, wenn die beiden Erwachsenen-Generationen sich darüber verständigen, wo das (erlaubte) Verwöhnen aufhört und das Verziehen anfängt.
In unserer Rubrik Familie von A-Z finden Sie weitere interessante Artikel und Infos zu dem Thema Entwicklung des Kindes.