Seitdem mein Mann vorübergehend ausgezogen ist, verhalten sich unsere Kinder ganz anders: Max (7) ist neuerdings so hilfsbereit, dass ich ihn kaum wiedererkenne, und weicht mir kaum von der Seite, dagegen bekommt Paul (4) ziemlich viele Wutanfälle und beschimpft mich oft.
Verständlicherweise hat die vorübergehende Trennung von Ihrem Mann die beiden Kinder tief verunsichert. Ihre Reaktionen, wenn auch gegensätzlich, weisen überdeutlich darauf hin. Max verhält sich überangepasst - er versucht, Ihnen alles recht zu machen, und zeigt sich besonders lieb und hilfsbereit. Eine naheliegende Erklärung: Max hat Sorge, dass auch Sie noch „gehen“ könnten, und in seinem Alter realisiert er schon ganz klar, wie sehr er von den Eltern – sprich zur Zeit: von Ihnen – abhängig ist. Also klammert er, lässt Sie möglichst nicht aus den Augen und tut alles, um Sie nicht auch noch zu vergraulen. Paul hingegen scheint seine Aggressionen ungefiltert herauszulassen. Sei es, weil er seine Ängste nicht in den Griff bekommt, sei es, weil er Sie für die Schuldige hält und Sie dafür bestrafen will, sei es, weil er sich durch den Abgang seines Vaters in seiner kindlichen Liebe verletzt fühlt und nun andere genauso verletzen will.
Natürlich tun Max und Paul das alles nicht bewusst; darauf angesprochen, würden Sie solche Absichten vermutlich energisch abstreiten. Und so verständlich die Reaktionen der beiden und so berechtigt die Gefühle dahinter auf jeden Fall sind: Wahrscheinlich haben die beiden auch große Probleme damit, die Situation „richtig“ (aus Erwachsenen-Sicht!) einzuordnen, und können umso weniger „vernünftig“ darauf reagieren.
Unklar ist für die beiden erstens, wie lange diese Trennung dauern wird – wahrscheinlich wissen Sie und Ihr Mann das ja nicht einmal selbst! Damit zusammen hängt zweitens die Frage: Ist Papa jetzt (erst einmal) komplett aus unserem Leben verschwunden? Oder werden wir ihn auch in Zukunft regelmäßig wiedersehen und alles das mit ihm tun können, was uns bisher so gut getan hat – spielen, toben, schwimmen, handwerken, unsere Erfolge und unseren Kummer mit ihm teilen? Und drittens nagt im Hintergrund möglicherweise das schlechte Gewissen: Haben wir Papa so verärgert, dass er „gegangen“ ist?
Diese Missverständnisse müssen Sie (und Ihr Mann?) im Gespräch mit den beiden Jungen ausräumen. Erklären Sie Ihnen also
Wie weit Sie dabei ins Detail gehen, entscheiden Sie am besten nach Max' und Pauls Reaktionen und Nachfragen - Kinder sind sehr unterschiedlich darin, was und wie viel sie wissen wollen. Manchen genügt es schon zu wissen und zu spüren, dass die Eltern ihre Gefühle akzeptieren, gesprächsbereit sind und ihnen versichern, dass sie sich darum bemühen, die Situation in den Griff zu bekommen; zu viele Einzelheiten aus dem elterlichen Rosenkrieg würden sie nur unnötig belasten. Ihre Söhne dürfen auch ruhig miterleben, dass Sie selbst ab und zu traurig oder wütend sind. Vermeiden Sie es als Eltern aber, sich gegenseitig vor den Kindern schlecht zu machen oder abzuwerten. Das würde Max und Paul daran hindern, Sie beide zu lieben, und sie in einen Loyalitätskonflikt stürzen, der sie völlig überfordert und innerlich zerreißen könnte.
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