August 2019
Meine Tochter hat keine Freundinnen
Foto:photocase.com Meine Tochter Lisa hat sich riesig gefreut, als sie in die Schule kam, aber schon jetzt, nach einem guten halben Jahr, ist davon kaum noch etwas zu spüren. Sie findet nicht richtig Anschluss in der Klasse, und ich habe den Eindruck, dass sie zur Außenseiterin wird. Ich habe immer wieder mal versucht, Kontakte zu knüpfen, und ermutige sie, Kinder einzuladen. Von der Lehrerin fühle ich mich nicht ernst genommen, und auch mein Mann meint, wir sollten „erst mal abwarten“. Aber ich kann das kaum ertragen.
Dass Lisa sich in der Klasse nicht wohl fühlt, ist natürlich ein ernstes Zeichen. Und es ist gut, dass Sie „dran bleiben“ und dem Kummer Ihrer Tochter auf den Grund gehen wollen.
Wichtig ist allerdings herauszufinden, warum sie sich in der Klasse nicht wohl fühlt.
- Kinder in diesem Alter haben oft noch sehr eigene Vorstellungen davon, wie die Welt und die sozialen Gefüge funktionieren; dabei nehmen sie möglicherweise nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit wahr. Vielleicht ist es ja nur ein einziges anderes Kind in der Klasse, das Lisa aus irgendeinem Grund verehrt, das ihre Tochter aber nicht zu seinem Kindergeburtstag eingeladen hat oder im Alltag nicht wahrnimmt - und schon setzt sich bei Lisa der Eindruck „Keiner mag mich!“ fest. Obwohl es wahrscheinlich noch etliche andere Kinder gibt, denen es ähnlich geht oder die ihrerseits bei Lisa nicht „landen“ können.
- Mit anderen Worten: Sprechen Sie zunächst einmal (oder auch mehrmals!) in aller Ruhe mit Lisa darüber, wie sie sich in der Schule und der Klasse fühlt, was und wen sie mag und auch nicht mag. So ein Gespräch braucht eine gute Atmosphäre; manche Kinder reden gerne bei Auto- oder Busfahrten, andere beim Spazierengehen oder auf dem Sofa zu Hause. Und, ganz wichtig: Drängen Sie Ihrer Tochter solche Gespräche nicht auf; die wenigsten Kinder mögen es, ausgefragt zu werden. Aber hören Sie sehr gut hin, wann sie von sich aus Anknüpfungspunkte liefert. Lassen Sie Lisa Zeit, frei zu erzählen, wie es ihr geht, und versuchen Sie, ihre Situation und ihr Weltbild durch vorsichtiges Nachfragen noch besser zu verstehen.
- Vorsicht auf jeden Fall mit voreiligen Ratschlägen und Aktivitäten! Natürlich ist es gut, wenn Sie Ihr Zuhause für andere Kinder öffnen, so dass Lisa Freundinnen und Freunde einladen und so Kontakte pflegen kann. Aber Ihre Tochter muss selbst „Herrin des Verfahrens“ bleiben! Ihrem Selbstbewusstsein wäre es sicher nicht zuträglich, wenn sie den Eindruck gewinnt: „Mama muss Freundinnen und Freunde für mich gewinnen, weil ich selbst das nicht kann.“ Sie können Lisa Wege öffnen, mit ihr zusammen Ideen und Möglichkeiten suchen – dazu gehört es auch, sie auf mögliche Kontakte jenseits der Schule hinzuweisen, zum Beispiel in Sport-, Musik-, Pfadfinder- oder anderen Gruppen. Aber gehen muss Lisa selbst.
- Was sie auch nicht vergessen dürfen: Jedes Kind ist anders und empfindet anders, auch anders als seine Mutter. Vielleicht sprechen Sie einmal mit Ihrem Mann darüber, der Lisas Situation ja offensichtlich weniger dramatisch sieht. Wie sehr leidet Ihre Tochter tatsächlich? Welche Erfahrungen haben Sie selbst mit Freundschaften gemacht? Wie halten Sie es heute damit? (Daran kann Lisas sich besser als an Ihren Tipps und Ratschlägen abgucken, warum es sich lohnt, Freunde zu haben, und wie man sie findet!) Haben Kontakte zu anderen Kindern für Sie möglicherweise einen höheren Stellenwert als für Lisa?
Wenn Sie die Situation soweit geklärt haben, können Sie Lisa auf sicherer Grundlage helfen. Allein die Erfahrung, dass die Eltern ihren Kummer ernst nehmen und sie so akzeptieren, wie sie ist, kann ihr auch für die Schule entscheidend den Rücken stärken.
In unserer Rubrik Familie von A-Z finden Sie weitere interessante Artikel und Infos zu dem Thema Entwicklung des Kindes.